Album der Woche Blur "The Ballad Of Darren" – Die schräge Popromantik des Damon Albarn
Standdatum: 21. August 2023.
Blurs neues Album "The Ballad Of Darren" kommt als satt aufgetragenes Klanggemälde daher – mit Ecken und Kanten, aber auch ganz viel musikalischer Magie.
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Der Bandname "Blur" ist hier Programm. Was im Englischen "Verschleierung" oder auch "Trübung" heißen kann, ist ein wunderbar verwischter Sound, mit dem das Quartett nach langer Pause aufwartet: süß und weich, bitter und schwer. Wie dunkle Schokolade, die herb und schmeichelnd auf der Zunge zergeht. Am 21. Juli ist "The Ballad Of Darren" mit einer Folge von zehn Songs erschienen. Drei Tage später haben Blur für ihre Limited Deluxe Edition noch zwei weitere Songs nachgeladen. Die hätten sie aber gern auch von Beginn an auf ihre Platte packen können. Schließlich haben sie sich ja acht Jahre Zeit gelassen, um nach "The Magic Whip" vom April 2015 jetzt ihr 9. Studioalbum von der Leine zu lassen. Und das hat, wie es bei Blur in ihrem Heimatland jetzt schon siebenfacheTradition ist, Platz eins der UK-Charts erobert.
Nun aber haben wir diese unglaubliche Platte gemacht, die uns wieder vollständige Legitimität verleiht.
Damon Albarn
Vor mehr als drei Jahrzehnten haben die vier Gründungsmitglieder von Blur, das sind Frontmann Damon Albarn, Leadgitarrist Graham Coxon, Bassist Alex James und Drummer Dave Rowntree, begonnen zusammen Musik zu machen. Während dieser Zeit haben sie mehrmals ihren Stil geändert und Coxon hat 2002 die Band im Streit verlassen. Jetzt sind sie wieder zusammengekommen, ohne jegliches nostalgische Gefühl, wie Damon Albarn unterstreicht. Bevor Blur im Januar gemeinsam ins Studio gingen, nachdem sie im Sommer letzten Jahres beschlossen hatten, ein paar Konzerte zu geben, wusste außer Albarn niemand, dass er die aufzunehmenden Songs bereits weitgehend geschrieben hatte. Das war dem Blur-Mastermind wichtig, denn so konnte die Produktion von Spontaneität getragen werden. Und genau daraus bezieht Albarn die Legitimität für diese Platte mit dem schillernden Titel "The Ballad Of Darren".
Ich nehme ein Album mit alten Freunden auf, weil das eine interessante Sache ist.
Damon Albarn
Der Albumtitel beruft sich auf Darren Evans, den ehemaligen Bodyguard von Blur und Assistenten von Damon Albarn. Evans habe ihn wiederholt bekniet, doch endlich einmal einen Titel namens "Half A Song" von seiner 2003 veröffentlichten Demo-Sammlung "Democrazy" zu Ende zu schreiben, erinnert Albarn sich. Jetzt, nach 20 Jahren, hat der Musiker, der seit 2020 neben der britischen auch die isländische Staatsbürgerschaft besitzt, endlich den Titel komplettiert und zunächst konsequent "The Ballad Of Darren" genannt. Da Albarn aber erkannte, dass dieser Song eher von allgemeineren Empfindungen getragen wird, als nur von seiner Beziehung zu Evans zu handeln, benannte er ihn in das schlichtere "The Ballad" um und betitelte dafür das gesamte Album "The Ballad Of Darren". Eine mit alten Freunden zusammen aufgenommene Platte, wie Damon Albarn betont. Jeder von ihnen habe zu Blur zurückkommen wollen, vielleicht gerade deshalb, weil man sich gegenseitig immer sehr viel Raum für andere künstlerische Projekte gelassen habe. Albarn selbst erkundet ja seit 1998 mit der von ihm mitbegründeten virtuellen Band Gorillaz abseits des Britpop liegende Musikgenres. Die Arbeit an "The Ballad Of Darren" hat den Blur-Veteranen jedenfalls gezeigt, dass sie sich trotz eines Sacks voller unterschiedlicher Lebenserfahrungen immer noch genau kennen und gegenseitig einschätzen können – wie das bei alten Freunden eben so ist.
Ich bin immer leicht schräg und ich mag es, dichterische Freiheit zu besitzen.
Damon Albarn
Die schräge Popromantik von Blur liegt vielleicht zuallererst in der Persönlichkeit des Frontmanns begründet. Die einleitenden Textzeilen der Single "The Narcissist" belegen das: "Looked in the mirror. So many people standing there. I walked towards them into the floodlights." Wie viele Spielarten seiner selbst mag Damon Albarn wohl in diesem Spiegel erblickt haben? Sicherlich so viele wie die facettenreichen Songs auf diesem mit einem an Vieldeutigkeit aufgeladenen „Freibad"-Cover versehenen Album. Dessen Aufmacher "The Ballad" ist gesättigt von morbider Melancholie. Dissonant und kantig schließt sich das von Grunge beeinflusste und an David Bowie gemahnende "St. Charles Square" an. Ganz anders wiederum das von elektronischem Beat eingeleitete Indie-Pop-Stück "Barbaric". Und so entfaltet sich Blurs musikalischer Bilderbogen munter weiter, widmet Leonard Cohen die von tierlautartigen Klängen umrahmte Ballade "The Everglades" und baut gekonnt in vom Stil der Beatles befeuertem Songwriting ein musikalisches "Avalon" auf. Das Album bricht sich im Schlusstitel dann final in einer knarzigen Geräuschwelle. Albarn bezeichnet denn auch dieses mit würzigen Sounds vollgesogene Spätwerk von Blur als „ein Nachbeben, eine Reflexion und ein Kommentar dazu, wo wir uns gerade befinden."
Ich selbst fühle mich eher dem europäischen Pop als dem Britpop zugehörig.
Damon Albarn
Während Damon Albarn sich in seinen Songtexten die dichterische Freiheit nimmt, von seinem Leben inspirierte Folien in etwas allgemeiner Gehaltenes zu verwandeln, sorgt Gitarrist Graham Coxon mit seinen wie dahingewischten Saitenklängen für eine melancholisch unterfütterte atmosphärische Steigerung der von Albarn zumeist an Tasteninstrumenten entworfenen Songs. Der Sog, den "The Ballad Of Darren" entwickelt, ist dann auch zu einem Gutteil der dicht gewobenen Instrumentierung, die auch auf Streicher und Bläser setzt, geschuldet. Melancholie sei fester Bestandteil der englischen Identität, gibt sich Coxon im Interview mit Rinko Heidrich auf laut.de überzeugt, und somit auch Teil ihrer Band-DNA. Dennoch lassen die Exzentriker von Blur sich nur äußerst ungern in den allgemeinen Britpop-Topf werfen. Auf die 90er-Jahre beziehen sie sich durchaus, aber betonen, dass sie immer ihren eigenen wandelbaren Sound gepflegt hätten. Auf keinen Fall mögen sie sich wie 1995 in der von der englischen Presse entfachten "Battle of Britpop" als Gegenentwurf zu den Rock-Rüpeln von Oasis labeln lassen. Damon Albarn jedenfalls, der mit großem Bedauern auf den Brexit blickt, bezieht ganz klar Stellung, indem er sich mehr dem europäischen, sprich kontinentalen Pop, als dem Britpop zugehörig fühlt.
Diese Platte mussten wir eben machen, einfach um so etwas wie einen Abschluss für all das, was wir bisher gemacht haben, zu finden.
Damon Albarn
Das ist schon eine klare Ansage, unterstreicht sie doch den künstlerischen Anspruch von Blur, sich nicht vor irgendwelche Promo-Karren spannen zu lassen. Dass ein Album unbedingt habe gemacht werden müssen, ist hingegen ein reichlich abgegriffenes Statement. Bei Blur jedoch mag das zutreffen, wofür schon Produzent James Ford mit gesorgt hat. Ford hat gemeinsam mit Damon Albarn das Gorillaz-Album von 2018 "The Now Now" produziert und kitzelt aus den kreativen Individualisten von Blur auch das letzte Zipfelchen an popromantischer Überzeugungskraft heraus. Durch die musikalisch weichgezeichnete, leicht diffuse Welt von Blur zu schweben und sich dabei ab und zu an klanglichen Kanten zu stoßen, ist aufregend und beruhigend zugleich. Das muss eine Band erst einmal hinbekommen!
Blur "The Ballad Of Darren"
Parlophone Label Group
EAN: 5054197688263
VÖ: 21.07.2023
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Das Gewinnspiel endet am 27. August 2023.
Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Der Nachmittag, 21. August 2023, 14:40 Uhr