Album der Woche Jon Allen – ein nachdenklicher Chronist auf der Insel seiner Songs

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Eine markante Stimme und ohne Schnickschnack gebaute Melodien – mehr braucht es nicht für ein bemerkenswertes Album.

Albumcover Jon Allen - A Heightened Sense of Everything
Bild: V2 (H'Art)
Albumcover Jon Allen - A Heightened Sense of Everything

So klingt Jon Allens "A Heightened Sense Of Everything"

Eine markante Stimme und ohne Schnickschnack gebaute Melodien – mehr braucht es nicht für ein bemerkenswertes Album.

Bild: V2 (H'Art)

Gewinnen Sie das Album "A Heightened Sense Of Everything" von Jon Allen

Ein komplizierter Albumtitel und überwiegend schlichte Melodien – wie passt das denn wohl zusammen? Sehr gut, denn Jon Allen sieht sich mit seinem am 25. August erschienenen Album ”A Heightened Sense Of Everything” als Chronist der verstörenden und belastenden Gefühle, die wir sicherlich alle während der Pandemie empfunden haben. Jeder Moment, jedes Ereignis in dieser Zeit hat der englische Singer-Songwriter als überzeichnet und aufgeladen wahrgenommen. Und das musste einfach raus und sich den Weg über eine Folge von zehn Songs suchen.

Der Albumtitel spiegelt wider, wie ich mich – so wie wohl jeder andere auch – während der letzten paar Jahre gefühlt habe.

Jon Allen
Sänger Jon Allen auf der Bühne
Bild: Imago | PA Images

Der 1977 in Winchester geborene Musiker mit der heiseren Stimme ist ein erfahrener Songwriter, der genau weiß, was er da zu Papier bringt. Das wird durch seine zugewandte und offene Art im Gespräch mit Bremen Eins spürbar. Der von Mark Knopfler auf einer Party für die weite Musikwelt entdeckte Sänger denkt viel darüber nach, was er wie in seinen Songs vermitteln möchte. Es ist das weite Spektrum an Emotionen, für welche die Belastungen und Einschränkungen durch Corona wie ein Verstärker gewirkt haben, welches sich in “A Heightened Sense Of Everything“ Bahn bricht. Überwiegend schlicht und ohne großes Geklingel - aber für zupackendes Rockfeeling wie in “Heat Of The Moment“ mit seinem Keith-Richards-Gitarrenriff ist Jon Allen ebenso zu haben. Seine aktuellen Songs gäben eben auf irgendeine Weise die unterschiedlichen Gefühle wieder, die er empfunden habe, ist er überzeugt.

Manchmal ist es eben eine Nachrichtenmeldung, die mich loslegen lässt.

Jon Allen

Die intensiven Empfindungen, die Jon Allen auf “A Heightened Sense Of Everything“ zu klar strukturierter Musik gerinnen lässt, erstrecken sich von der Sehnsucht nach der Natur und einem ruhigeren Leben über das Sich-eingesperrt-Fühlen in der Großstadt bin hin zu Paranoia. Den puren Wahnsinn habe er in seinem “Paranoia Blues“ thematisieren wollen, erzählt Allen. Den hat er vom Titel ausgehend konzipiert, ohne wilden Furor, sondern eher distanziert betrachtend und mit kühlem Klang-Skalpell sezierend. “Even when I’m happy I don’t trust the way I feel“, lautet eine Textpassage aus diesem “Paranoia Blues“, die das Grundgefühl von Jon Allens neuem Album perfekt umreißt. Selbst in Augenblicken der Gefühlsverwirrung betörend schöne Klangmomente zu finden, darin liegt die eigentliche Kunst dieses nachdenklichen Musikers, der sich auf der abgelegenen Insel seiner Songs einigelt und nach Antworten sucht. Allen selbst schätzt sich ganz unverblümt als Oberbedenkenträger ein, der sich mit Grausen daran erinnert, dass während der Pandemie allein schon der Gang in den Supermarkt purer Stress gewesen ist. Bisweilen lässt Jon Allen sich von einer simplen Nachrichtenmeldung zu einem Song inspirieren. So ist etwa “Heat Of The Moment“ eine ins Allgemeinere übersetzte musikalische Reaktion auf die Ohrfeige, die sich Komiker Chris Rock im vergangenen Jahr bei der Oscar-Verleihung von Will Smith eingefangen hat.

Jon Allen
Bild: Jax Valiany

Ich habe jetzt von meinem Alter her die Lebensmitte erreicht und das bringt ein neues Niveau an Umsicht mit sich.

Jon Allen

Als Musiker, der sich gefühlt in seiner Lebensmitte verortet, hat Jon Allen seine Sicht auf die Dinge verändert. Er hat seinen Blickwinkel ein wenig verrückt und versucht den Weg zu sich selbst, zu einer Bestimmung zu finden. Dabei gibt er unumwunden zu, dass das Leben unerbittlich ist. “Can’t Stop Now“ ist Allens Versuch, dieser Erkenntnis ein musikalisches Gesicht zu geben. Dieses ist nicht etwa aus Angst vor der Unausweichlichkeit der Dinge verzerrt, sondern setzt dieser ganz im Gegenteil eine sehr gelassene Miene entgegen. Wie wichtig gerade dieser Song für Jon Allen ist, belegt die Tatsache, dass er in zwei Fassungen auf “A Heightened Sense Of Everything“ vertreten ist. Die Bandversion ist die ursprüngliche Variante. Die Klavierfassung ist bei Allens Liveauftritten entstanden und für ihn eine anders ausgedrückte Reaktion auf diese große Herausforderung des Lebens. Die eine Antwort gebe es sowieso nicht, stellt Allen klar, aber irgendeine Art von Antwort mit Sicherheit.

Dies ist nun tatsächlich mein 6. Album und bis dahin hat man gelernt, dass es viel mehr als nur einen Weg Songs zu schreiben gibt.

Jon Allen

Der in London lebende Künstler ist bei seinem mittlerweile 6. Studioalbum wieder sein eigener Produzent gewesen. Wie schon bei seinem Vorgängeralbum “…meanwhile“ vom Mai 2021 hat Jon Allen sich dazu produktionstechnische Unterstützung von den Brüdern Adam und Dan Skinner geholt. Die beiden Absolventen von Paul McCartneys Liverpool Institute for Performing Arts haben einen guten Ruf im Bereich von Musik und Sounds für Film, TV und Games. Für Jon Allens neues Album haben sie ihre Kompetenzen wieder in Dan Skinners Studio im Norden Londons versammelt. Das Songwriting selbst hat Allen mittlerweile so verinnerlicht, dass er das berühmte leere Blatt Papier zwar immer noch als Herausforderung empfindet, aber immer einen Aufhänger für neue Songs findet. Der kann eine zufällige Akkordfolge auf Allens Gitarre sein, aus der sich dann eine besondere Stimmung herausbildet. Auch ein ausgeprägtes Grundgefühl kann einen Song auslösen. Das etwa ist beim schlichten “Back To The River“ der Fall gewesen. Hier verarbeitet Jon Allen die Erkenntnis, dass er etwas in seinem Leben vermisst. Musikalisch verlässt er sich auf die von ihm auf hohem Niveau betriebene Kunst der Reduktion. Mehr braucht ein guter Song offenbar nicht.

Jon Allen mit seiner Band The Luna Kings
Bild: Jax Valiany

Wie es so schön heißt, lässt ja ein bisschen Sand in der Auster die Perle entstehen.

Jon Allen

Jon Allen hatte seinen Durchbruch 2009 in der BBC-Two-Sendung “Later… with Jools Holland“. Holland schwärmte damals geradezu von Allens einmaliger Stimme. Diese verbindet in der Tat die Introvertiertheit eines Bob Dylan, der zu Allens großen Vorbildern gehört, mit der lässigen Heiserkeit von Bryan Adams. Nicht die schlechteste Mischung, möchte man konstatieren. Genau deshalb setzt Jon Allen auch auf einen knackigen, grobkörnigen Sound. Die Heiserkeit seiner Stimme möchte er auch im Klang von Klavier, Gitarre und Schlagzeug wiederfinden. Er schwärmt dabei von der Spontaneität und der ruppigen Begeisterung, wie sie die von ihm so geschätzten Platten der späten Sechziger und der Siebziger geprägt haben. Stilistisch lässt sich der Musiker, der bereits mit Emmylou Harris, Mark Knopfler, Brian May, Seal und Dionne Warwick zusammengearbeitet hat, nichts mehr vormachen. Wenn man wie er genügend Songs geschrieben habe, dann entwickele man im Laufe der Zeit einfach seinen eigenen Stil, merkt er trocken an.

Ich hoffe, dass die Menschen bei meiner Musik etwas empfinden und diese sie auch bewegt.

Jon Allen

Im Laufe seiner Entwicklung als Songwriter hat Jon Allen sein Augenmerk immer stärker auf das Gefühlvolle gelegt. Das dampft er in seinen minimalistischen Melodien ein auf den emotionalen Kern. Er möchte, dass die Menschen bei seiner Musik etwas empfinden und dass seine Musik sie bewegt. Der Verlust seines engen Freundes und Gitarristen Pat West, der unerwartet während des Lockdowns verstarb, inspirierte Allen zum von Streichern warm eingepackten “Old Friend“. Das ist einer dieser Songs, die direkt ins Herz zielen. Allerdings möchte Jon Allen nicht als Schmacht-Barde verstanden werden und verweist dazu erneut auf sein rockiges “Heat Of The Moment“.

Ohne Dunkelheit gibt es kein Licht!

Jon Allen

Jon Allen, dieser hochsensible, nachdenkliche, vielleicht sogar grüblerische Sucher nach Antworten, hat die alles entscheidende vielleicht sogar schon gefunden. „Ohne Dunkelheit gibt es kein Licht“, ist sicherlich keine weit hergeholte Erkenntnis. Aber mit der Helligkeit, die Allen in seinen Songs mitbringt, kann er nicht nur die Einsamkeit des Songwriters in seinem Arbeitsraum abschütteln, sondern auch seine virtuelle Insel der Melancholie verlassen. In diesem Sinne ist “A Heightened Sense Of Everything“ ein starkes Leuchtzeichen, das sich nicht nur im Plattenregal gut macht, sondern ebenso auf die Livebühne gehört. Dort, vor seinem Publikum, findet dann auch dieser tiefgründige Songwriter seine großen Lichtmomente.

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Das Gewinnspiel endet am 8. September 2023 um 12 Uhr.

Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Der Nachmittag, 4. September 2023, 14:40 Uhr

Bremen Eins Livestream & aktuelle Sendung.

Der Nachmittag mit Janine Horsch

Der Nachmittag

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Kurt Nilsen She's So High
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