Auf ein Wort Feste feiern, wie sie fallen

Autor/Autorin

  • Dr. Andreas Gautier

Feste soll man feiern, wie sie fallen. So sagt man. Bisher habe ich das als Auftrag gesehen, rechtzeitig an meinen Geburtstag zu denken und Freunde einzuladen. Normalerweise geht es mir so, dass mir erst am Tag vorher auffällt, dass schon wieder ein Jahr rum ist. Dann noch eine Party zu organisieren, ist deutlich zu spät. Und den Ehrentag dann irgendwann nachzuholen, ist auch nicht optimal.

Diese Perspektive hat sich zurzeit völlig verändert. Erst diese Woche bin ich zu einem Neujahrsempfang eingeladen worden. Und dabei ist das Jahr schon zur Hälfte vorbei. Aber vor sechs Monaten war an einen Empfang mit Getränken, Imbiss und vielen Menschen noch nicht zu denken. Und so wurden viele Feste und Feiern einfach um ein paar Monate nach hinten verschoben. Was mir mit meinem Geburtstag regelmäßig passiert, wurde für viele Feiern zum Normalzustand.

Feste soll man feiern, wie sie fallen. Die Perspektive lässt sich im Moment eher so beschreiben, dass die Feste auf jeden Fall noch begangen werden. Absagen hatten wir genug. Dann gibt es zum Neujahrsempfang eben keinen Glühwein, sondern etwas Kühles und Erfrischendes. Und weil da einiges nachzuholen ist und die üblichen Sommerfeste ja auch begangen werden wollen, sind die Wochenenden bei mir bis zu den Sommerferien fast alle schon verplant. Aber warum feiern wir eigentlich jedes Jahr Geburtstag, Hochzeitstag, Schützenfeste, Patronatsfeste, Neujahrsempfänge und so weiter?

Die Antwort ist eigentlich ganz simpel: Es ist ein Erinnern an die Ursprünge, den Grund der Institution, den gemeinsamen Auftrag, die gemeinsamen Erfahrungen. Es ist eine doppelte Erinnerung. Zum einen an das, was im vergangenen Jahr alles passiert ist. Zum Anderen eine Erinnerung an den Anfang. An die Gründung des Vereins oder die eigene Geburt. Darum ist es wichtig, dass wir bestimmte Dinge jedes Jahr feiern. Wir bringen damit zum Ausdruck, dass uns etwas wichtig und wertvoll ist.

Und je größer die Zahl auf dem Geburtstagskuchen wird, desto mehr verstehe ich dann auch, was der Prediger Kohelet meint, wenn er schreibt, dass alles seine Zeit hat. Es gäbe eine Zeit zum Gebären und eine Zeit zum Sterben. So wie es eine Zeit der Aussaat und eine Zeit der Ernte gibt. Die Dinge, die im Leben wichtig sind, kommen nicht beliebig. Sie passieren uns zu bestimmten Zeiten in unserem Leben. Und deshalb sind ihre Feste eben auch zu feiern, wie sie fallen. Nicht, weil irgendein Prediger das vor über zweitausend Jahren mal gesagt hat. Nein, weil darin ganz viel Weisheit steckt. Es gibt nämlich auch eine Zeit zum Feiern. Wir sollen nicht verpassen, uns an das Schöne und Wertvolle in unserem Leben zu erinnern. Wir sollen feiern, was unser Leben bereichert.

Aber leider muss ich diesen Neujahrsempfang nun absagen, weil es in den nächsten Wochen zu viele Feiern gibt.

Dieses Thema im Programm: 19. Juni 2022, 7:40 Uhr

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Der Nachmittag mit Janine Horsch

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